Draußen ertönt ein Donnerschlag, als würden Eisenplatten auf Granit geschmettert. Ein greller Blitz flammt auf, und das auch noch ziemlich dicht vor der Hütte. Der staubige Fußboden wird vom Lichtschein, der durch die Tür fällt, jäh erhellt.
Praiala bleibt auf der ersten Treppenstufe stehen und belastet sie ordentlich um zu
ob sie das Gewicht tragen wird. Da ihr die hölzernen Stufen noch robust genug erscheinen steigt sie langsam und vorsichtig hinauf.
Wie sie herausfindet ist es schier unmöglich, die Treppenstufen
hinaufzusteigen, so wie sie es gern tun würde. Die Holzbretter wackeln unter ihren Füßen. Sie knacken und knarren, egal, wie zögernd und vorsichtig sie die Füße darauf setzt. Praiala geht langsam voran, in der einen Hand die Sturmlaterne, in der anderen das Sonnenszepter. Der Griff der schweren Waffe schmerzt in ihrer Hand bis sie sie etwas lockerer fasst.
Mit halb zugekniffenen Augen, ob des in der Luft dicht schwebenden Staubes, späht sie nach oben in den dunklen Schacht, durch den sie sich vorsichtig quetscht. Es ist eine enge Treppe, und Praiala bemerkt, dass es hier riecht wie in dieser alten Kate, die sie als Kind auf einem verwilderten Grundstück erkundet hatte: nach Katzenurin und Abfall.
Praialas Herz schlägt so heftig, dass es ihre Brust zu sprengen droht. Der Lichtkegel der Laterne beleuchtet die seltsamen Dinge, die sich dort oben befinden. Die uralten dunklen Wände, bedeckt mit bärtigen Gesichtern, die aber tatsächlich nichts weiter sind als Muster im ausgebleichten Holz. Alles hier scheint so alt zu sein, dass es in ein Museum passen würde. Mit einem Mal spürt sie eine tiefe Demut und Respekt vor den Inquisitoren, die vor ihr diese Prüfung überstehen mussten.
Der Gedanke an die Menschen, die einst in diesem modrigen, von den Kräften der Niederhöllen verdorbenen, Wald gelebt hatten, erfüllt Praiala mit so viel Traurigkeit, dass sie das Gefühl hat, das ganze Elend werde sie zu Boden drücken. Es waren sicher einfache Leute gewesen, ein altes Paar vielleicht, dessen einziger Trost der Glaube an Praios gewesen war. Irgendwann war der eine gestorben, und der andere musste in dieser trostlosen und unerträglichen Einsamkeit weiterleben.
Sie versucht, diese schrecklichen Gedanken abzuschütteln die mit der Angst konkurrieren, die sich in ihr ausbreitet. Dies hier war kein Ort für einen normalen Menschen, ganz bestimmt nicht. Das spürt sie instinktiv. Hier müsste man ja durchdrehen, hier würde man Opfer dieser Verrücktheit, die einen dazu brächte, Schädel an die Wände zu nageln. Sogar die düstere kalte Luft scheint über sie hinwegzuziehen, als verfolge sie ihre eigenen Ziele. So etwas zu denken, war dumm und irrational, aber in ihrer Vorstellung würde das Haus von irgendetwas bewohnt, das sie noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Sie selbst fühlt sich klein und zerbrechlich in dieser Umgebung. Geradezu wehrlos. Was auch immer dieser Ort ist, sie ist hier nicht willkommen.
Immer wieder spricht sie sich selbst Mut zu. Sie wusste, dass diese Nacht alles andere als leicht werden würde und doch ist es schon dadurch anders, dass sie hier alleine ist. In ihren bisherigen Abenteuern gab es immer ein Ziel das sie und die Gruppe erreichen mussten und dämonische Begegnungen waren natürlich schrecklich - doch musste sie sich dem nie alleine stellen und es gab immer das Ziel vor Augen.
Hier nun ist das Ziel ja tatsächlich, sich bewusst in die Brache zu begeben und eine Nacht hier zu verbringen. Natürlich um dann ihrem Ziel, ordentliche Inquisitorin zu werden, näher zu kommen. Dennoch ist es etwas anderes, abstrakter als in den bisherigen Begegnungen.
An den letzten Stufen, als sie so ihren Mut zusammennehmen muss, atmet sie trotz des Gestankes tief durch und richtet sich dann entschlossen auf - eine schöne Praiotin ist sie, hier so zu bibbern und zu zittern nur weil die Umgebung "etwas" unheimlich ist. Naja sehr unheimlich und sie hat genug über die Brache gelesen. Dennoch.
Sie kann und darf sich nicht immer auf die Unterstützung Anderer verlassen, wenn es darum geht dem Bösen die Stirn zu bieten. Sie muss auch alleine den Mut finden und genug Vertrauen in ihren Glauben haben solche Momente durchzustehen.
Also gibt es hier - doch noch so am Rand der Brache - keinen Grund wirklich zu verzagen und zu zaudern, so unheimlich das Haus auch sein mag.
So fasst sie neuen Mut und Entschlossenheit, als sie die letzten Stufen erklimmt.
Praiala späht um den Treppenabsatz. Nur ein paar Schritte vor ihr erkennt sie einen Durchgang in ein Zimmer. Es sieht wie eine Dachkammer aus.
Unter ihren Füßen knarrt die Treppe erbärmlich, und sie fragt sich, ob sie genug Mut hat, die letzten Stufen hinaufzusteigen. Sie hält den Atem an und zwingt sich weiter voranzugehen.
Noch drei Schritte voraus und sie bleibt stehen. Mit herabhängenden Schultern und vorgestrecktem Kopf starrt sie etwas an, das sich vor ihr in der Dachkammer befindet. Sie schluckt lautstark.
Etwas schält sich aus dem Schatten und wird wieder eins mit dem Schatten. Praiala zuckt zusammen und greift unwillkürlich fester um den Griff des Sonnenszepters, hebt es instinktiv zum Schlag.
In der hintersten Ecke der Dachkammer sitzt eine Silhouette aufrecht und vollkommen ruhig zwischen den beiden schrägen Seiten des Daches. Die Stelle, die dieses Ding einnimmt, ist ein einziges Durcheinander und völlig dunkel oberhalb und unterhalb des Lichtkegels der Sturmlaterne, deren Licht schwächlich wirkt, als wolle es dort, wo es endet, zu Pulver zerfallen. Dennoch ist der Schein stark genug, den ganzen Staub und die Spinnweben auf dem uralten schwärzlichen Fell hervortreten zu lassen, und wird von den feucht glänzenden Tropfen, die vom undichten Dach auf die Haarbüschel herabfallen, reflektiert.
Das Licht der Laterne beleuchtet die massiven Hörner, die über zwei finsteren Augenhöhlen in die Höhe ragen. Braune Knochen, lang und dick.
Zwei dünne Hinterbeine, die in Hufen enden, staken aus dem Körper, an den knochigen Knien eigenartig gekrümmt. Die Hufe sehen aus, als wäre sie jederzeit bereit, die ganze gehörnte Kreatur hochzustemmen.
Zwischen hochgezogenen, schwarzen Lippen blecken sich längliche gelbe Zähne zu einer hässlichen Grimasse unter Nüstern, die eindeutig feucht erscheinen. Über den fellbedeckten Brustkorb sind kleine rosafarbene Warzen verteilt. Das erscheint ihr das Abstoßendste an dem ganzen Monstrum, schlimmer noch als das knöcherne Maul, das aussieht, als werde es sich jeden Moment öffnen und zuschnappen.
Mit hämmerndem Herzen betrachtet Praiala die grässliche Figur ... Spinnweben im Fell? Und all das hier sieht verlassen aus.
Hat sie sich bewegt oder war es nur Einbildung und Angst im Licht ihrer Laterne?
Sie versucht sich einzureden, dass die Feuchtigkeit einfach nur Regen ist, der durchs Dach tropft und ihr Fund kein Lebewesen sein kann, sondern nur eine weitere Skurrile Figur - geschnitzt oder dergleichen.
Dann ist die Luft plötzlich erfüllt mit lautem Schreien, aber nicht die staubige Luft hier bei ihr, das merkt Praiala jetzt, sondern die Luft dort draußen in der Welt jenseits dieser wie aus einem Alptraum erscheinenden Hütte. Dort, wo gerade etwas noch viel Schlimmeres geschieht.
Mit weit aufgerissenen Augen sieht sie die Gestalt vor sich an - regt sie sich nun? Oder hat sie recht und es handelt sich wirklich nur um eine leblose Figur?
Ein, zwei Atemzüge zögert sie, ehe sie mit einem innbrünstigen
"Praios steh mir bei" umdreht und zur Treppe eilt. Nach wenigen Schritten sieht sie jedoch noch einmal über ihre Schulter ehe sie sich entschlossen auf den Weg nach unten macht um der Ursache der Schreie auf den Grund zu gehen.